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Über dem Pop Olymp geht morgens die strahlende Sonne auf. Kraftwerk schlürfen gerade ihren Electric-Cafe. Die Ärzte sind kurz Gassi mit Claudias Schäferhund. Später kommt noch HP von Scooter zum Mittagessen und bringt frischen Fisch mit. Bei den Toten Hosen gibt’s heute nur belegte Brote mit Schinken, weil die Opel Gang sich mit Alex trifft. Und abends bringt dann Nina einen Spliff mit, Herbert den Alkohol, und Udo fliegt vorm Schlafengehen nochmal kurz mit einem Kometen vorbei. Und dazwischen tummeln sich die Jüngsten hier oben im Pop Olymp, Die Fantastischen Vier. Für sie ging die Reise hier hoch vor 35 Jahren los. “It was all a dream” damals, und sie stellen sich heute manchmal die Frage, die ihre ehemaligen Four Music Artists Blumentopf einmal rappten: „denk mal an die Fanta Songs, wer hätte damals je gedacht, dass Hip-Hop so weit kommt?”. Seien wir ehrlich, die Fantastischen Vier waren immer mit einem gesunden Selbstbewusstsein gesegnet. Und sie haben es wahrscheinlich damals schon gespürt, dass es für sie einen Weg hierauf gibt. Schaffe, schaffe Olymp bauen war die Devise. Und wenn sie es nicht wussten, dann wissen sie es jetzt, sicher.
Deswegen rappt die Band auch auf dem Titeltrack “Long Player” folgende Zeilen: „Kommt ran, und dann kommt noch näher, Fun kommt nicht von ungefähr. Auf langen Wegen sieht man mehr. Von Anfang an Longplayer. Los Leute, kommt’n bisschen näher, ein Leben lang legendär. Gehen noch ein Stück, nehmen euch mit, bis zum Ende Long Player“. Die Fantas sind jetzt an einem Punkt ihrer Karriere angelangt, wo Schluss ist mit der Diskussion, ob man zu alt ist oder was überhaupt mit dem Alter ist. „Jetzt ist komplett Veteranenstatus angesagt“, sagt Smudo und ergänzt: „Wir sind Pop-Dinosaurier”. Und um die zu töten, brauchte es immerhin einen ausgewachsenen Asteroiden aus dem Weltall.
Der Weg zum Pop Olymp war aber auch nicht nur easy-peasy. Die Band kennt die Hürden, die es zu bewältigen gilt, nur zur Genüge. “Es geht darum, das Große und Ganze zu genießen, anstatt sich an kleinen Schauplätzen irgendwelche Scharmützel darüber zu liefern, was richtig und was falsch ist”, sagt Smudo. “Weil die Zeit viel zu schnell vorbei geht und hinterher fragt man sich, was habe ich denn daraus gemacht?“ Zeit, genauer gesagt Lebenszeit, und wie man mit ihr umgeht, das ist eines der zentralen Themen auf dem neuen Album “Long Player” der Fantastischen Vier. So dauerte die Produktion der Platte satte 5 Jahre. “Wir haben so viel weggeschmissen wie noch nie, aus dem, was wir weggeschmissen haben, könnte man fast noch mal ein Album machen”, sagt Smudo.
Nichts erschien den Fantas einfach an der Produktion dieser Platte. So auch die Suche nach dem richtigen Albumtitel. Alle Ideen wurden immer wieder verworfen, bis 3 Tage vor dem Abgabetermin Smudo der Geistesblitz kam. Er hörte immer noch die Stimme des Fanta Managers Bär in seinem Ohr, der in einem Meeting am Vortag über “Longplayer Verkäufe“ redete. “Longplayer” ist die englische Bezeichnung für Langspielplatten, traditionell als “LP” abgekürzt. Und da hat es Zoom gemacht. Wir sind auch “Long Player”, dachte sich Smudo. Was die Band zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, “Long Player” ist auch der Titel des längsten Musikstückes der Welt ist. Der britische Komponist und Musiker Jem Finer hat das Stück so komponiert, dass es eine Länge von 1000 Jahren hat. Ein epischeres Bild hätte man wohl nicht finden können. Die Produktion hat auch deshalb 5 Jahre gedauert, weil immer wieder die große Frage der Band im Raum stand: „Wie wollen, und wie können wir klingen?” Soll man sich an den eigenen Kids orientieren?
„Während ich bei dem letzten Album noch ein bisschen die aktuellen Sachen verstanden habe, fühle ich mich jetzt zuweilen wirklich abgekoppelt. Ich höre es mir an und ich verstehe es immer öfter nicht.” wo wäre auch der Sinn diesen Zeitgeist aufzugreifen? Wie authentisch wäre die Band, wenn sie es selbst nicht fühlt?
Also kommt sie zu folgender ehrlichen Antwort. “Es macht überhaupt keinen Sinn zu versuchen, modern zu klingen, wenn man es einfach nicht ist”, so Smudo. Und somit war die Ausrichtung für das Album vorgegeben. Man wollte wieder so denken wie in den 80ern und 90ern. “Das ist das, was wir können. Und da können wir auch beurteilen, was gut ist, dafür auch gerade stehen”, erklärt Smudo und ergänzt: „das Schöne ist, dass sich daraus auch die Themen ergeben”. Also reisen wir mit den Fantas in der Zeit zurück. Von Kurtis Blow bis Helmut Kohl. Ein bunter Strauß Nostalgie, wenn man so will. “Aber bloß nicht nach der Devise früher war alles besser. Wir sind fachlich, technisch und inspirativ gereist: als wenn wir vor 20 oder 30 Jahren die Songs gemacht hätten“, bemerkt Smudo im Gespräch.
Und so geht es zusammen mit den Fantastischen Vier durch ihre eigenen Zeiten. 35 Jahre zurück in die Zukunft, und erleben, wie sie sich quasi von sich selbst inspirieren lassen. So begegnen wir Songs, die auf “4 Gewinnt” ihren Platz gefunden hätten, wie z.B. “44 Tausend”, dessen Refrain lautet: “44 .000 People springen auf und ab wie wild. Gesundheitszustand, jetzt egal. Wenn’s dumm läuft, halt zum letzten Mal” und dessen Raps sich schwer beschreiben lassen, ohne die Beastie Boys zu erwähnen. Dieser Beastie Boys Einfluss ist durchaus eine Konstante im Werk der Fantastischen Vier. Keine Rap Crew in Deutschland hat es jemals in der Konsequenz geschafft, immer wieder so perfekt den Druck der drei New Yorker Hip-Hop Legenden ins Deutsche zu transformieren, wie die 4 aus dem Ländle. Smudo ergänzt: ”Da geht es auch wirklich nur um das Gefühl. Dazu kam ein treibender Beat und dann hat das quasi diesen richtigen Drive bekommen. Die Vier sind mal wieder auf 180 und der Song wurde bereits auf den ersten Fanta Shows dieses Jahres auf Herz und Nieren geprüft und ging in bester 80er-Hip-Hop Manier “ab.
Der Song “Wie weit” hätte hingegen gut zwischen die “4 Dimension” und “Lauschgift” gepasst. Er basiert auf einem Sample der Band MiA., was dazu führte, dass man sich nicht ganz sicher war, ob man den Sample geklärt bekommt. “Wir hatten Schiss, dass MiA. uns das Sample nicht freigibt. Aber die fanden es super“, beschreibt Smudo seine Erleichterung. Aus dem Indie Rock Song machten die Fantas eine locker-flockige Soul Granate, die auf dem Dancefloor explodiert. Auch der Song “Bestandsaufnahme” könnte echtes “Lauschgift” sein. In dem Song geht es um die Endlichkeit von Zeit und die Band reflektiert darin die Vergänglichkeit aller Dinge. So rappt Thomas D “seit dem mein Leben begann und mein Ende beginnt. Denke ich ständig daran, und nehm was immer es bringt. Ich geh‘ nicht dagegen an, denn dieses Leben es rinnt, mir durch die Hände wie Sand, und sag‘ mir, was hat noch Bestand?”. Hier werden wir Zeuge eines der Erfolgsgeheimnisse der Fantas, wie sie den Pop Olymp erreichen konnten. Sie haben nie die Superstar Karte gespielt. Die Fantas waren immer menschlich, nah bar und haben immer ihre Zweifel und Verletzlichkeiten gezeigt. Sie sind Menschen im Pop Olymp und keine Götter. Und deswegen stellen sie sich dieselben Fragen, die sich auch ihre Fans alltäglich stellen.
Denn jeder kennt diese unangenehmen Situationen, die das Leben in seinem Verlauf mit sich bringt. Es heißt, niemand schlägt härtere Punches als die Zeit, was Smudo im Gespräch folgendermaßen kommentiert. “Es ist alles schon etwas endlicher. Während man sich mit 20 nicht groß überlegt, was in 10 oder 20 Jahren ist, kommen jetzt schon so Überlegungen, okay, wenn wir damit fertig sind, bin ich so und so alt. „Vom Ende des Tunnels aus betrachtet ist rückblickend das Vergangene das echte Leben.“, stellt Smudo fest. Ähnliches beschreibt Thomas D im Song “Inferno”, ” doch unsere Taten, das, was wir erschaffen haben, das bleibt. Das, was wir weitergeben ist, was unser Leben beschreibt. Und darum frage ich mich, was mache ich aus meiner Lebenszeit? Was werde ich hinterlassen, und was wird mehr, wenn man es teilt? (…) an was wird man sich erinnern, wenn ich nicht mehr bin, und macht das, was mir wichtig ist, auch wirklich Sinn?”. Darauf angesprochen erklärt Smudo im Gespräch: “Wenn irgendwas Bestand hat, dann ist es die Kunst. Sie bildet etwas ab was bleibt. Wie so ein Fossil oder wie ein Denkmal, dem andere begegnen können und dadurch zurückgeführt werden”. Der Pop Olymp in dem Die Fantastischen Vier leben, ist also eigentlich das Denkmal, das sie selbst gebaut haben, aus ihrem Werk. Das letztendlich aber nur von ihren Fans am Leben erhalten werden kann. So sind die Abhängigkeiten geklärt und nur so kann diese Symbiose funktionieren. Und darauf arbeitet die Band letztendlich auch hin wie im Song “Weekendfeeling”, wo die Fantas rappen: “Scheiß egal, wievielter Frühling – 30 Jahre Weekendfeeling. Alle deine Lieblingslieder. Und wir spielen, spielen, spielen, sie wieder”. Den Touren und live spielen sind die Seele und das Leben dieser Band. Sie sind geradezu süchtig danach. So heißt es im Refrain von “Weekendfeeling”: “Alle kommen und feiern dich, keiner weiß, wie alt du bist. Schön, dass du begeistert bist, doch eine Feier reicht uns nicht”. Smudo erklärt das besondere Verhältnis zu live Auftritten folgendermaßen: “Wir haben bei den Fantas eigentlich immer versucht, einen guten Mix zu finden zwischen persönlichen Themen und Spaß. Es muss uns auch am Leben erhalten, gerade im Hinblick, was man live spielt. Wir freuen uns darauf, dass wir jetzt einen Schuss neue Songs haben. Damit machen wir ein neues Programm und gehen dann auf Tour”.
Auch der Song “Was man will” hätte gut auf “Lauschgift” gepasst. Es klingt so, als ob Kanye West 2001 ein DDR Soul Sample von der Hansi Biebl Band hoch gepitcht hätte. Darin singt Hansi Biebl die Zeilen “Es gibt Momente, da stellen sich die Weichen. Und man weiß nicht, und weiß nicht, was man will”. Ein Song, in dem es darum geht, wie schwer es ist, Entscheidungen zu treffen. Aber ignorieren geht ja auch nicht. Und dass man beim Treffen von Entscheidungen auch Fehler macht, ist zutiefst menschlich. Und eigentlich auch nur dann ein Problem, wenn man diese nicht zugeben würde. Auch hier zeigt die Band erneut ihre Menschlichkeit, als Michi Beck rappt:“Irgendeine Macht hat mich bis hierhin gebracht. Heißt auch, die ganzen Fehler haben am Ende Sinn gemacht. Gebe meinem größten Feind einen bösen Blick und mein Badezimmer-Spiegel zerspringt”.
Der Song “Aufhören” ist dann eines dieser Beispiele, die die ambivalente Seite der Band zeigt. Lässt der Titel einen aufhorchen, ob ein Ende der Band bevorstünde, wird man zuerst im Text beruhigt, wenn man Michi Beck rappen hört: “Es ist ja nicht so, als wär’s uns egal. Als würden wir nicht drüber reden, normal. Als hätten wir nicht tausend Zweifel pro Jahr. Doch aufhören, was war das nochmal?”. Hui, noch mal gut gegangen, denkt sich der Fan und wird im Refrain erneut bestätigt: “Wir wollen es wissen, wir wollen es hören. Wir wollen alles geben, bis wir nicht mehr können. Wir wollen es feiern, wir wollen es laut. Und das ist erst der Anfang, es hört nicht auf”.
Scheint ja alles in Ordnung im Fantastasia Land. Aber es gibt eben auch Zeilen wie diese: “Denn egal wie es wird oder war, eins ist klar, es ist auch manchmal hart”. Smudo darauf angesprochen, ob „Long Player“ vielleicht die letzte Fanta Platte sein könnte, sagt dann: “Wir haben das bisher immer gedacht bei den Alben davor, aber dieses Mal sind wir uns ziemlich sicher. Diese Produktion war zäh und es kam auch der Gedanke auf, warum sich das antun?” und ergänzt dann. “Wir stellen uns die ganze Zeit die Frage nach der Endlichkeit. Und wie wir den Weg zu diesem Ende gestalten. Und da gibt es jetzt nicht viele Beispiele. Wenn man sich das so anguckt, wie die großen Pop-Dinosaurier in Deutschland damit umgehen. Wir machen auch immer wieder Scherze, dass es so lange geht, bis einer umkippt. Hier kommt keiner mehr lebend raus”. Das klingt nicht so gut, werden die Fans jetzt sagen. Aber ich schrieb von Ambivalenz, und die geht bei den Fantas so weiter, wie Smudo erzählt: “Gleichzeitig sind wir mit dem Ergebnis des Albums “Long Player” sowas von mehr als zufrieden, dass wir sagen, das Gefühl hätten wir gerne noch mal.” Ooookaaayy. So weit, so uneindeutig. Also noch mal investigativ nachgebohrt.
Was würde Smudo denn ohne die Fantas als Erstes machen? “Am liebsten würde ich den ganzen Tag nur in der Sonne liegen, mich mit Cognac einreiben lassen und schlafen. Zwischendurch kommt dann mal Einer, zündet mir ’ne Zigarre an und sagt, “alles ist in Ordnung”. Ist denn ein Leben ohne die anderen wirklich vorstellbar? Dazu meint Smudo: „Ich schätze das total, dass wir diesen Club und dieses gemeinsame Ziel haben. Diese Solidarität gibt mir eine Form von Sicherheit. Ich weiß, wie sich die Leben der anderen anfühlen, oder wie es ist, wenn das Leben zuschnappt. Wir alle haben miterlebt, wie unsere Eltern zum Beispiel sterben. Wir helfen uns interessanterweise mit unserer gemeinsamen Lebenserfahrung weiter. Diese Nähe habe ich mit sonst keinem anderen. Das würde ich wirklich bedauern, wenn das fehlen würde”.
Diese Band ist definitiv mehr als eine Gruppe von Freunden. Das ist Familie, und vielleicht ist es auf eine verrückte Art und Weise sogar größer als eine Familie. Und dadurch ist alles, was sie erschaffen, so viel größer als ein paar Songs auf einem Longplayer. Und so sitzen sie im Pop Olymp, ob eingerieben in Cognac oder nicht, und das Werk dieser Langspieler wird ewige Zeit Bestand haben. Außer, wenn dieser verdammte Asteroid einschlägt. Aber dann finden irgendwann außerirdische Archäologen die fossilen Knochen und Platten der Fantastischen Vier und sie erwachen zu neuem Leben. Denn auf der Platte heißt es auch: “Wir werden nie verschwinden. Und sollte es uns irgendwann nicht mehr geben, dann werden unsere Lieder uns wieder beleben”.
Foto © Mumpi Künster